Immer wieder haben wir euch in den letzten Wochen von den Turkana erzählt. Den Menschen unter denen wir aktuell leben. Heute möchten wir uns ein bisschen mehr Zeit nehmen, um euch unsere Nachbarn im Turkana County ein bisschen besser vorzustellen. Lasst euch mitnehmen in eine spannende Kultur, eine Lebensweise, die sich von unserer ganz schön unterscheidet und seid gespannt die liebenswerten Menschen mit uns kennen zu lernen.
Wir durften Helen, unsere Nachbarin, zu Hause besuchen und Carl hat uns mit vielen hilfreichen Hinweisen über Leben und Kultur versorgt.
Allgemeines über das Zusammenleben:
Wenn man über die Turkana im Allgemeinen redet, muss man ein bisschen vorsichtig sein. Denn die Menschen um uns in den Dörfern haben ein ganz anderes Leben im Vergleich zu den Turkana, die in die nahe Stadt gezogen sind. Während sich die Menschen in der Stadt eher westlich kleiden, überwiegend in festen Häusern wohnen, oft einer festen Arbeit nachgehen und eine andere Mentalität haben, sehen wir hier im Dorf eher ein anderes Bild. Wir werden im Verlauf unseren Fokus auf den Menschen um uns herum hier im Dorf haben.
Die Behausungen erinnern beim ersten Hinsehen schnell mal an Iglus. Zumindest von ihrer Form her. Es sind Rundhütten aus Ästen gebaut, ausgekleidet mit Stoffen, Kartonresten und allem, was gefunden wird und sich irgendwie zum Abdichten eignet. Das ist der Vorratsraum und auch der Schlafplatz für Regentage. Ansonsten wird in einem mit Zaun abgegrenzten kleinen Bereich ohne Dach geschlafen. Allerdings nur Frauen und Kinder, wobei Jungs nur bis zum Alter von ungefähr 10 Jahren. Männer schlafen bei den Turkana draußen vor der Hütte. Die verschiedenen Gebäude sind häufig im Kreis angeordnet und haben einen Zaun aus Dornen. Dass die Männer draußen schlafen, hat Sicherheitsgründe. Vor allem, um die Viehherden zu beschützen. Außerdem gibt es noch eine Art Wohnzimmer auch aus Ästen und mit einem Laubdach für Schatten und genug Zwischenräume zwischen den Ästen für eine angenehme, kühle Brise. Daneben eine kleine Kochstelle und ein kleiner Stall für die Ziegen.
Eine Familie besteht aus einigen Familienmitgliedern – oft hat eine Frau schon um die 8 Kinder, die alle zusammenleben. Andere Verwandte habe in der Regel ihre Häuser und Compounds in der Nähe, so bilden sie eine Community. Nahe mit Verwandten zusammen zu leben, genießen sie sehr.
In jeder Familie gibt es ein Familienoberhaupt. Das ist der Mann des Hauses. Er trifft alle Entscheidungen: geht es um Essen, ob die Kinder in die Schule dürfen oder selbst, ob die Familie in die Kirche geht oder nicht.
Aufgabenverteilung:
Die Aufgaben sind klar aufgeteilt. Aufgabe der Männer ist es für die Ziegenherden zu sorgen und mit ihnen auch teilweise lange Strecken zu gehen, um Futter und Wasser für die Tiere zu finden. Je nach Saison finden sie Futter im Umkreis und können so einfach zu den nahegelegenen Hügeln bzw. Bergen gehen und dort den Tag verbringen. Wenn im Umkreis aber kein Futter zu finden ist legen sie teilweise sehr lange Stecken zurück und sind monatelang unterwegs bis sie wieder nach Hause kommen. Teilweise gehen sie dabei sogar über die Landesgrenzen Kenias bis nach Uganda. Wenn man das so hört, ist man leicht geneigt an die Massai zu denken. Auch ein Stamm in Kenia, der mit Viehzucht lebt, aber sie sind nicht mit den Turkana zu verwechseln. Die in verschiedenen Punkten anders leben als die Massai. Einer davon wäre, dass die Massai Kuhherden haben und die Turkana dagegen Ziegenherden. Aber auch sonst gibt es noch einige Unterschiede und die beiden Stämme sind nicht miteinander verwandt.
Ansonsten übernehmen die Frauen sehr viele Aufgaben. Sie sorgen für die Kinder zu Hause, bauen das Haus, besorgen Lebensmittel, kochen, waschen, halten den Compound sauber, gehen Wasser holen und sind auch die Hauptverdiener der Familie. Ihr Einkommen ist hauptsächlich aus dem Verkauf von Holzkohle, die die Frauen selbst herstellen, sie sammeln Steine und Feuerholz, das sie verkaufen können, machen bunte Armbänder aus kleinen Perlen oder sie kaufen große Mengen Kautabak zum Wiederverkauf. Dass sie tatsächlich irgendwo fest angestellt sind, kommt sehr selten vor.
Die Männer haben wenig bis kein Interesse an Jobs in der Stadt. Sie sehen ihre Aufgabe darin nach den Ziegen und Schafen zu sehen und daneben zu Hause für ein wenig Sicherheit zu sorgen. Allerdings haben wir schon so manche Geschichte über den unglaublich tiefen Schlaf der Turkana Männer gehört. Neben einem wurde nachts einmal eine Ladung Steine abgekippt und er schlief tief und fest weiter, so dass wir uns ab und zu fragen, wie es um die Sicherheit wirklich steht. 😉
Bildung:
Mittlerweile gehen einige der Jungs zur Schule was wirklich schön ist. Für Mädels ist es weitaus schwieriger eine Schulbildung zu bekommen. Das liegt nicht daran, dass es zu wenige Schulen hier in der Umgebung gibt oder sie das nötige Schulgeld nicht zusammen bekommen. In der Regel entscheidet der Vater der Familie wie viele und welche Kinder in die Schule gehen und leider kümmern sie sich oft nicht sehr gut um ihre Kinder. Das heißt für die Mädels allzu oft zu Hause bleiben, im Haushalt helfen und lernen später einen eigenen Haushalt zu führen. Für die Jungs stehen die Chancen ein bisschen besser. Meist werden die Söhne aufgeteilt, sodass ein Teil zu Hause bleibt und sich mit um die Tiere und Aufgaben zu Hause kümmert und ein Teil der Söhne kann zur Schule gehen.
Ziemlich überrascht hat uns, dass die Schulbildung nicht automatisch ein „besseres“ Leben für die Kinder und jungen Erwachsenen bedeutet. Oft haben sie leider keine wirkliche Perspektive oder ein Ziel im Leben und nach der Grundbildung in der Schule kommen sie wieder zurück ins Dorf und werden Hirten wie ihre Väter oder sie haben Jobs wie Tag/Nachtwächter, Boda Boda (Motorradtaxi) Fahrer oder andere einfache Arbeiten. Etwas das für uns aus westlicher Sicht so ganz unverständlich ist und doch eine Lebensrealität für die meisten Jugendlichen und Kinder hier. Und doch sehen wir Einzelne, die anders sind und bestimmt auch langfristig einen Unterschied machen werden. Wir für uns wollen für Bildung und die jungen Menschen beten, damit es für sie auch in der Hinsicht eine Erweckung geben darf und sie ein Leben mit Perspektive vor sich sehen können.
Medizinische Versorgung:
Das Gesundheitssystem in Kenia hat zwei große Bereiche. Der eine ist privat und der andere staatlich. Während die privaten Kliniken kostenpflichtig sind, gibt es in den staatlichen Krankenhäusern kostenfreie Gesundheitsversorgung. Was erstmal super gut klingt ist in der Umsetzung meist leider nicht ganz so, denn die staatlichen Krankenhäuser haben oft nicht die notwendigen Materialien oder Medikamente vorrätig, was dann dazu führt, dass die Menschen doch wieder woanders Dinge zukaufen müssen. Das ist, bestimmt noch neben anderen Gründen, ein Grund warum die Turkana ganz viel auf ihre traditionelle Medizin bauen. Viel wird versucht mit Blättern oder Wurzeln zu lösen. Oder sie greifen zu unverständlicheren Praktiken wie kleinen Schnitten am Kopf, um Kopfschmerzen zu behandeln. Dabei gehen sie davon aus, dass sie den Druck im Kopf verringern können, wenn Blut abfließt. Auch Geburten finden in aller Regel zu Hause statt.
Heiraten:
Ein wirklich spannendes Thema, das mit einigen Traditionen verknüpft ist.
Junge Mädchen bekommen oft schon sehr früh Ketten um den Hals gelegt. Das sind traditionelle Ketten, die anzeigen, dass ein Mann ein Mädchen heiraten kann. Im Laufe ihrer Kindheit und frühen Jugend kaufen die Eltern immer mehr Ketten, die gar nicht so billig sind. Damit steigt der Wert eines Mädchens auf dem Heiratsmarkt. Dieser wird nicht am Aussehen oder an Bildung fest gemacht, sondern an der Anzahl der Halsketten. Allerdings ist mit anlegen der Ketten auch eine Entscheidung für ihr Leben getroffen. Sie wird nicht in die Schule gehen. Mit Beginn der Pubertät im Alter von ungefähr 12 Jahre (wobei man auch sagen muss, dass Geburtstage und das Alter für Turkana keine große Rolle spielt) sind die Mädchen dann offiziell im heiratsfähigen Alter. Das heißt Männer, oft Ältere melden sich beim Vater und es wird um den Brautpreis verhandelt. Das Ergebnis der Verhandlungen sind zwischen 200-400 Ziegen, 1 Esel, 1 Kamel und 3 Schafe (für die Mutter der Braut). Ein bisschen belustigt hat uns zu hören, dass es gar nicht so viel mehr Tiere hier in der Gegend gibt und immer wenn einer heiraten möchte stiehlt er sich die Tiere bei den andere zusammen und danach werden sie wieder verteilt. So soll es in unserem Dorf ein oder zwei Kamele insgesamt geben. Hat der Mann die Tiere beisammen, können die Feierlichkeiten starten. Es wird eine Kuh geschlachtet, die Frauen bemalen ihre Haare, Haut und Ketten mit Lehm und abends geht die Feier los, die gut und gerne über mehrere Tage bis zu zwei Wochen gehen kann. Anwesend sind nur Erwachsene, Kinder bleiben zu Hause. Die drei wirklich wichtigen Dinge, die bei keiner Hochzeit fehlen dürfen, sind Essen, Tanz und dabei noch ein bisschen Dorftratsch und Neuigkeiten.
Bei der Hochzeit wird der Braut ein großer Schmuckring aus Metall um den Hals gelegt, manchmal auch an Händen und Füßen. Das ist das offizielle Zeichen, dass eine Frau verheiratet ist. Dem Bräutigam wird traditionell eine Paste aus hellem Lehm vermischt mit Kuhdung ins Gesicht gestrichen. Es ist nicht unüblich, dass ein Mann hier mehrere Frauen hat, wenn er es sich leisten kann.
Kleidung:
Männer sieht man hier so gut wie immer mit einem kleinen Sitz und einem Stock herumlaufen. Den Sitz benutzen sie zum einen zum Hinsetzen, wenn sie Rast machen, oder sie nehmen ihn als Kissen und legen den Kopf darauf. Den Stock haben sie für Kämpfe oder Verteidigung dabei, wofür sie ihn tatsächlich gar nicht so oft brauchen, eher zum Treiben der Viehherden und um den nötigen Respekt von anderen Männern zu bekommen. Dazu haben sie eine typisch karierte Decke umgebunden. Entweder um die Hüfte oder über die Schulter. Die kann dann im Zweifel auch als Decke benutzt werden.
Die Frauen haben auch ein Tuch umgebunden. Das ist aber nicht in dem typischen Muster wie bei den Männern, sondern es sind ganz unterschiedliche farbenfrohe, schöne Muster. Dazu sieht man viele bunten Ketten und Armreifen.
Spannende Fakten und Traditionen:
- Turkana essen am liebsten Fleisch und dann am liebsten Ziege.
- Zu trinken lieben sie saure Ziegenmilch.
- Edong ist ein traditioneller Tanz bei dem hoch gesprungen wird, was vor allem den Mädels sehr imponiert (das können sie auch gerne mal eine ganze Nacht durchhalten).
- Die Sprache wird gleich genannt wie die Menschen: Turkana. Viele sprechen aber auch Suaheli und manche sogar ein bisschen Englisch.
- Die typische Frisur für Frauen ist: kurze Haare an den Seiten und oben etwas länger was dann zu ganz feinen Zöpfchen geflochten wird. Die Männer haben kahlgeschorene Köpfe.
- Um Wasser für ihre Familien zu bekommen, müssen sie oft einen langen Weg zu Fuß auf sich nehmen. Entweder zum solarbetriebenen Brunnen oder zu einem 5-Sterne Hotel über die Straße, wo sie morgens und abends Wasser holen dürfen.
Turkana Church
„Ich will meinen Brüdern und Schwestern deinen Namen verkündigen; inmitten der Gemeinde will ich dir lobsingen!“ Hebräer 2,12
Es gibt nichts Schöneres, als in ein anderes, ein fremdes Land zu kommen und unter Brüdern und Schwestern im Glauben zu sein. Gemeinsam denjenigen anzubeten der uns Menschen liebt, sieht, zusammenführt und diese Liebe auch untereinander möglich macht. Und diese Gemeinschaft dürfen wir mit unseren Nachbarn erleben. Gemeinde in einem anderen Land ist oft auch doch anders, als wir sie von zuhause kennen. Zumindest von der Liedauswahl, den Instrumenten, dem Gebäude und dem Ablauf.
Wie kann man sich den Gottesdienst hier vorstellen und warum ist mitten im Nirgendwo ein, sagen wir mal, halb fertiges Kirchengebäude?
Fangen wir ganz vorne an.
„Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte.“
Matthäus 18,20